November 21, 2023
Mit SECAI erforschen wir eine smarte Heizungslösung, die den Anforderungen der Wohnungswirtschaft gerecht wird.
SECAI-Projektleitung Birgid Eberhardt spricht über das Potenzial des KI-Projekts, die Anforderungen der Wohnungswirtschaft und das Retrofitting alter Gebäude auf den neuesten Stand der Technik.
Voraussichtliche Lesedauer: 5 Minuten
Frau Eberhardt, Sie leiten den Bereich Forschung & Entwicklung bei der GSW Sigmaringen. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen der täglichen Arbeit und Ihrer aktiven Rolle als Projektleiterin bei SECAI?
Zum Glück gibt es zwischen den beiden Arbeitsfeldern viele Synergien: die Wohnungswirtschaft ist durch allgemeine Entwicklungen, Erwartungen der Mietenden und ganz verschärft die Energiekrise gezwungen, sich mit digitalen Lösungen in Gebäuden und Wohneinheiten zu befassen. Im Forschungsprojekt können wir einzelne Aspekte mit wissenschaftlichen Partnern und Unternehmen beleuchten und sogar Konzepte ausprobieren. Dabei geht es uns dann einerseits um die Effizienz der angestrebten Lösungen, die Handhabung aus Betreibersicht, die Kosten über die Zeit und – ganz wichtig – die Akzeptanz der Mietenden.
Wo steht die Wohnungswirtschaft momentan in Bezug auf Digitalisierung bzw. um es zu konkretisieren, beim KI-unterstützten Heizen? Welche Chancen eröffnen sich durch SECAI speziell für die Wohnungswirtschaft?
In der Wohnungswirtschaft hat die Digitalisierung in den letzten Jahren verstärkt Einzug gehalten. KI-unterstütztes Heizen ist in der Praxis jedoch noch nicht angekommen. Das Potenzial, welches sich dadurch sowohl für das Heizverhalten in den Wohneinheiten als auch an der Optimierung der zentralen Heizkomponenten ergibt, ist enorm. Deswegen engagiert sich die GSW Sigmaringen in mehreren Digitalisierungsprojekten wie beispielsweise ForeSight, SmartLivingNEXT oder SECAI und hat mit Future Living® Berlin ein modernes Gebäudequartier, das mit vielen digitalen Anwendungen ausgestattet ist.
Heizen bzw. der Energieverbrauch beim Heizen wird durch viele Faktoren bestimmt. Ein Aspekt ist der Zustand der Gebäude. Wichtiger sind jedoch tatsächlich das Verhalten der Mietenden und die effektive Nutzung der Heizungsanlage. SECAI adressiert die beiden letzten Aspekte. Und bei beiden spielen Prognosen eine große Rolle. Diese werden durch KI realistischer und damit effektiver.
Im Projekt verantworten Sie die Themen Anforderungsanalyse und Einsatz des KI-Systems unter realen Bedingungen. Hier stehen also die Mietenden im Mittelpunkt. Mit welchem Ansatz begegnen Sie den aktuellen Herausforderungen im Projekt?
Eine gute Anforderungsanalyse stellt sicher, dass alle Partner in der Umsetzung am gleichen Strang ziehen, dass nicht an den Bedürfnissen der Wohnungswirtschaft und der Mietenden vorbei geforscht und entwickelt wird.
Mietende für die Mitarbeit zu gewinnen, ist eine Herausforderung. Normalerweise haben sie mit uns als Vermieterin wenig zu tun. Wir müssen sie von der Idee überzeugen, sie zur Mitarbeit motivieren und vertrauensvoll mit ihnen kommunizieren, was manchmal dadurch erschwert wird, dass in einem Forschungsprojekt nicht immer alles so läuft wie geplant. Wir nehmen die Meinungen und Erfahrungen der Mietenden natürlich ernst. Denn ohne aktiv involvierte Anwenderinnen und Anwender in einer echten Wohnumgebung bekommen wir nicht die Ergebnisse, die uns weiterbringen.
SECAI hat den Anspruch, dass auch ältere Gebäude durch Nachrüsten für das Edge-Cloud-basierte KI-System kompatibel sind. Wie kann man sich das sog. „Retrofitting“ in der Praxis konkret vorstellen und welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?
Nicht nur wir haben einen großen Bestand älterer Gebäude mit günstigen Mieten – das Thema beschäftigt die ganze Branche.
Alte Gebäude können „ertüchtigt“ werden, für viele weitere Jahre gutes und vor allem bezahlbares Wohnen zu gestatten. Unsere Aufgabe ist es, für laufende Instandhaltungen zu sorgen und dabei abzuwägen, wie wir die Gebäude- und Anlagensubstanz erhalten oder verbessern können, wieviel hierfür investiert werden kann, wie stark Maßnahmen über den Mietpreis oder die Betriebskosten die Mietenden belasten oder deren Betriebsausgaben senken. Die Digitalisierung bietet Chancen, Energieeffizienz im Gebäude zu steigern, ohne in die Gebäudesubstanz eingreifen zu müssen. Ideen hierzu haben zahlreiche PropTechs, deren Lösung gezielt auf die Nachrüstung von Bestandsbauten zielt. Und auch SECAI trägt mit dem KI-basierten Edge-Cloud-Ansatz dazu bei.
Schwieriger ist es, die Energieeffizienz in den Wohneinheiten zu verbessern. Unserer Erfahrung nach gibt es viel zu wenige Produkte, die unserer Verantwortung als Vermieterin, unserer Betreiberverantwortung, unserem Denken in langen Zeiträumen entgegen kommen. Die meisten verfügbaren Produkte im Smart Home-Umfeld adressieren immer noch Endkunden mit einem Haus oder einer Eigentumswohnung. Wohnungszugänge in der Vermietung stellen immer ein Problem dar, sie sind bei Mietenden und Dienstleistenden gleichermaßen unbeliebt. Beispiele aus der Praxis gibt es viele. Müssen Batterien etwa getauscht werden, weil sonst „die Heizung nicht mehr funktioniert“, Updates (Software oder Firmware) direkt in Wohnungen durchgeführt werden, halten die Produkte nicht lange, dann bekommen wir als Vermieterin Probleme. SECAI berücksichtigt diese Herausforderung.
Ein weiterer Aspekt liegt übrigens bei den Mietparteien selber – denn deren Verhalten spielt beim effizienten Nutzen von Wärme eine große Rolle. Mietende wissen heute praktisch nicht, wie warm es bei ihnen ist, wieviel Energie sie verbrauchen, was es bringt, die Heizung herunterzufahren, was ihre Verhaltensänderungen für eine Auswirkung auf ihre Betriebskosten haben. SECAI adressiert auch diesen Aspekt und wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse.
Die GSW Sigmaringen engagiert sich gemeinsam mit Verbänden, Herstellern, Serviceanbietern und der Wissenschaft auch in anderen Verbundprojekten wie beispielsweise SmartLivingNEXT. Wie wichtig ist die industrielle Gemeinschaftsforschung für den Bereich Smart Living und welche Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren für diese Domäne?
Wir haben in unterschiedlichen Projekten die Erfahrung gemacht, dass die Aufgaben der Vermietung und Verwaltung von Wohnungen und die damit verbundene Verantwortung zu wenig bekannt sind und daher nicht zwingend berücksichtigt werden. In interdisziplinären und interprofessionellen Forschungsteams werden neben den eigentlich angestrebten Ergebnissen viele Erkenntnisse übereinander ausgetauscht. Der durch die unterschiedlichen Beteiligten mögliche 360-Grad-Blick hilft allen, Themen neu zu sehen und zu bewerten, Lösungsansätze besser auf die Nutzung abzustimmen. Durch unsere Beteiligung an SmartLivingNEXT profitieren wir und alle anderen vor allem bei Anwendungen, die in Mietwohnungen Aspekte aus dem Smart Home-/AAL-Bereich oder Energieeffizienz adressieren. Außerdem bleiben wir am Puls der Zeit bzgl. der großen Zukunftsthemen: Energie, demografischer Wandel, generelle Digitalisierung. Wir freuen uns daher, an SmartLivingNEXT beteiligt zu sein und unsere Erfahrungen und Expertise einbringen zu dürfen.